„Die menschlichste Verfassung der Welt“ gefeiert
Dr. Rudolf Schöfberger zu Gast beim SPD-Dreikönigstreffen
Kirchanschöring. Im Dezember feierte die sozialdemokratisch geprägte Verfassung des Freistaates 60.Geburtstag. Dieses kalendarische Datum nutze der diesjährige Festredner Dr. Rudolf Schöfberger beim 61. Dreikönigstreffen der SPD in Kirchanschöring nicht nur zum Feiern. Es veranlasste ihn auch die Verfassungswirklichkeit kritisch in Augenschein zu nehmen und der bayerischen Staatsregierung ein paar verbale Ohrfeigen zu verpassen. Das begeisterte Publikum honorierte Dr. Schöfbergers Rede mit tosendem Applaus.
Nachdem der SPD-Kreisvorsitzende Dirk Reichenau - (von links) beim diesjährigen Dreikönigstreffen ein kleines Geschenk an den Festtagsredner Dr. Rudolf Schöfberger überreicht hatte, entwickelte sich im Saal erneut gute Stimmung, über die sich auch Bundestagsabgeordnete Dr. Bärbel Kofler sowie Ortsvorsitzender Peter Aumeier freuten. (Foto: Anneliese Caruso)
Die SPD- Kreisverbände Berchtesgadener Land und Traunstein luden zu dieser schon traditionellen und in der Region politisch relevanten Veranstaltung in Kirchanschöring ein. Jedes Jahr konnte dazu ein prominenter Gastredner gefunden werden. 2006 referierte Martin Gorholt, davor Klaus Uwe Benneter und 2004 Dr. Henning Scherf. Dr. Rudolf Schöfberger sprach heuer zum dritten Mal. Neben den Kreisvorsitzenden Dr. Bärbel Kofler und Dirk Reichenau begrüßte der Ortsverbandsvorsitzende Peter Aumeier die regionale SPD- Prominenz und viele weitere Gäste.
Der sozialdemokratische Geburtstagsredner Dr. Schöfberger erwarb seinen Doktortitel mit einer wissenschaftlichen Arbeit zur Bayerischen Verfassung und gilt als hochkarätiger Politiker auf diesem Gebiet. Er vertrat die SPD im Bundestag und war von 1986 bis 1991 Landesvorsitzender der SPD Bayern. Außerdem unterhielt er eine Freundschaft mit dem 1980 verstorbenen 1. bayerischen Ministerpräsidenten Professor Wilhelm Hoegner, der als geistiger Vater der Freistaats- Verfassung gilt. Wilhelm Hoegner war leidenschaftlicher Sozialdemokrat und „Schutzpatron der kleinen Leute“. Während der Naziherrschaft lebte er in der Schweiz im Exil, wo er die Gesetze für ein freies Bayern entwarf. Anfang Juni 1945 holte ihn die amerikanische Besatzungsmacht nach München. Über Hoegners Verfassung, an der es nur wenige Änderungen gab, entschied das Volk am 1. Dezember und bereits am 8. des gleichen Monats trat sie in Kraft. Dr. Schöfbergers Worten zufolge handelt es sich um die „Menschenfreundlichste Verfassung der Welt“, denn sie kümmere sich zwar um den Staat, aber vielmehr um die Menschen, also um eine humane Gesellschaft und eine humane Wirtschaft. Sie sorge sich vor allem um Arbeitnehmer, Handwerker und Bauern, also um „de kloanen Leit und de arma Teifi!“, betonte Schöfberger. Aber, so fuhr er fort, den Konservativen sei sie viel zu sozialdemokratisch. „Sie haben sie vergessen, verbogen und nach Strich und Faden verraten“! Zwischen dem Verfassungsgeist und der Verfassungswirklichkeit bestehe nach 49- jähriger konservativer Regierung eine tiefe Kluft.
Der Staatsregierung versuche die Verfassungsideale zu umgehen; in vielen Fällen sei die Auslegung der Artikel ein Hohn und Spott, unterstellte er und zitierte auch gleich ein paar Beispiele, die seine Behauptungen untermauerten: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Was könnte eine verfassungstreue Regierung wohl tun, um diesen in Artikel 151 festgeschriebenen Buchstaben Geltung zu verschaffen?, fragte sich der Festredner. „Dienen die Deutsche Bank, AEG, E.on und Siemens mit gewaltigen Profiten, astronomischen Vorstandsbezügen, massenhaften Entlassungen und einem 200 Millionen Euro starken Schmiergeldbudget tatsächlich dem Gemeinwohl“?
„Träger der Staatsgewalt ist das Volk“, heißt es in einem weiteren Artikel der Verfassung, das Volk und eben nicht die Staatsregierung, nicht die CSU, nicht die Deutsche Bank, nicht die Neoliberalen, nicht Alois Glück und auch nicht der Bayerische Rundfunk!, stellte der Redner fest. Obwohl, wie er meinte, der Bayerische Rundfunk eines der besten Fernsehsprogramme biete, sehe er bei dessen politischer Berichterstattung immer schwarz. Er spielte damit auf die Festschreibung an, dass der Rundfunk der unparteiischen Berichterstattung dienen müsste.
Schöfberger schickte hinterher, dass der Bürgermeister von Marktl am Inn, der Geburtsstadt von Papst Benedikt XVI., ein Sozialdemokrat sei. Überhaupt seien drei der fünf Bürgermeister, die den Papst bei seinen Besuchsstationen begrüßten, Sozialdemokraten; beim Besuch des Papstes habe sich die Rundfunkanstalt aber alle Mühe gegeben, das nicht zu erwähnen.
Auch der Wald in Bayern sterbe verfassungswidrig vor sich hin, das gehe aus dem jüngsten Waldschadensbericht hervor, damit versetzte er der Staatsregierung einen deutlichen Seitenhieb für ihren Umgang mit den Verfassungsartikeln, welche den Wald wegen seiner besonderen Bedeutung für den Naturhaushalt schützen. Die Waldgesezte seien so formuliert, dass aus Erholungswäldern rentable Holzfabriken entstünden.
Obwohl der Unterricht an Volks- und Berufsschulen unentgeltlich sei, habe man im vergangenen Jahr das Büchergeld eingeführt. Aufgabe des Staates und der Gemeinden ist auch die Förderung des Baus von billigen Volkswohnungen. Aber der gemeinnützige Wohnungsbau sei politisch verschlampt worden und schon bestehende preiswerte Mietwohnungen würden verhökert. Einer der das tatkräftig verhindere sei Oberbürgermeister Christian Ude in München, sagte der Redner.
Was der Rechtsstaat Bayern nicht schätze, weil dort nämlich Recht und Gesetz herrschten, stellte Dr. Schöfberger mit einem spitzzüngigen Wortspiel klar: ein Pratzeln und Prellen, ein Tandlern und Zwicken, ein Schneidern und Pfahlsen sowie ein Straußeneierlegen und Schröpfen.
Und da heute ein Geburtsfest zu Ehren der Verfassung gefeiert werde, wünsche die SPD sich als Geschenk von Innenminister Günther Beckstein endlich einen verfassungstreuen Verfassungsschutzbericht.
Schöfberger erinnerte auch daran, dass es die SPD in ihrer 144 jährigen Geschichte nie nötig hatte, den unbefleckten Namen zu ändern, während sich die bayerischen Konservativen als Patriotische Partei, Christliche Volkspartei, Bayerisches Zentrum, Bayerische Volkspartei und jetzt CSU durch die Geschichte mogelten.
Auch ein anatomisches Geheimnis wurde beim diesjährigen Dreikönigstreffen gelüftet: Alle bayerischen Herzen schlagen links! Zwar habe die SPD weder Leberkas noch Lederhose oder gar die Zugspitze oder den Chiemsee erfunden, es bestünden sogar gewisse Zweifel, ob dies der CSU gelungen sei, aber Sozialdemokratie sei das Glanzstück bayerischer Freiheits- und Demokratiegeschichte und ein lebendiges Stück bayerischer Heimat. Von Schöfberger auf die Liebe zur Heimat eingeschworen, erhoben sich die zahlreichen Besucher und würdigten das Heimatland mit der Bayernhymne.
Für jedes freie Wort, für jede Versammlung, jede Demonstration und für jeden Wahlzettel, der in die Urnen gelangte, hätten ein paar tausend Menschen sterben müssen, rief Schöfberger ins Gedächtnis und appellierte, nicht schoflig mit der Demokratie umzugehen und sich nur an deren erreichten Zielen zu erfreuen. Sie müsse gepflegt werden und das verlange Zeit und Lust, resümierte er nach seinen ausführlichen Darstellungen von historischen Wahrheiten in der langen und von Verfolgung geprägten Geschichte der SPD.
Mit lang anhaltendem Applaus brachten die vielen Gäste im Saal des Felberwirts zum Ausdruck, dass Schöfberger vieles gesagt habe, was auch ihnen am Herzen liege und es bei dieser Thematik keinen Diskussionsbedarf gebe.
Als einziger Redner ergriff Kirchanschörings Bürgermeister Albert Reiter das Wort. Er sagte, er habe viel über die Vergangenheit gehört, er vermisse aber Perspektiven, gerade weil die Sozialdemokraten als Fortschrittspartei gelten. Reiter nannte das Büchergeld eine „Krampfbürokratie“ und deren Erlöse „Peanuts“. Geradezu lächerlich fand er, wie mit derartigen Gesetzen den Kommunen das Wirtschaften beigebracht werden soll. Als völlig unsozial bezeichnete der Bürgermeister die nochmalige Einstufung der ohnehin schon benachteiligten Hauptschüler in gute und weniger gute Schüler. Gerade die, welche zur zweiten Gruppe gehören, seien es, die auf der Strecke blieben. Schöfberger konterte dann, dass es beim diesjährigen Dreikönigstreffen schließlich um die vor 60 Jahren in Kraft getretene Verfassung handle und es sich um eine rücklickende Jubiläumsfeier handele. Er verwies darauf, dass seine Partei sich schon seit Jahren für ein gerechteres Bildungsprogramm einsetze.
Schmunzelndes Beipflichten gab es bei den Zuhörern als Schöfberger den Bürgermeister wissen ließ, dass er sich über die von Reiter praktizierte Gemeindepolitik schon vorab informiert hatte. Er gab Reiter mit auf den Weg, dafür Sorge zu tragen, dass die Verfassung, die auf dem Willen des Volkes beruht, auch umgesetzt werde.