Dreikönigstreffen

2004 Dr. Henning Scherf

Henning Scherf zu Gast beim Dreikönigstreffen der SPD:

Bremer Bürgermeister wirbt für Reformen der Bundesregierung – „Nichts ist Schicksal, alles ist das Ergebnis von Politik“

Kirchanschöring. Henning Scherf ist 2,04 Meter groß und nicht nur aufgrund seiner Körpergröße eine bemerkenswerte Erscheinung: Seit 1995 steht der SPD-Politiker als Bürgermeister einer Großen Koalition in Bremen vor und erst vor wenigen Wochen leitete er als Vorsitzender des Vermittlungsausschusses die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition zum Vorziehen der Steuerreform. Ein politisches Schwergewicht also, das da die SPD-Kreisverbände Traunstein und Berchtesgadener Land als Redner für ihr traditionelles Dreikönigstreffen beim „Felberwirt“ in Kirchanschöring gewinnen konnten.

Kreisvorsitzender Dirk Reichenau freute sich darüber, „dass die Bude wieder einmal richtig voll geworden ist“, was er aber selbstkritisch nicht auf das öffentliche Erscheinungsbild seiner Partei zurückführen wollte, sondern auf die Prominenz von Henning Scherf. Der redete vor fast 300 Zuhörern vor allem über die Reformpolitik der Bundesregierung und über die Herausforderungen der Globalisierung. Zuvor drehte Scherf eine Runde durch den Saal und begrüßte die bayerischen Genossen einzeln mit Handschlag. Nach zehn Minuten Händeschütteln und einigen Interviews trat Scherf ans Rednerpult, um seinen Parteifreunden, die in letzter Zeit unter Wahlschlappen und Parteiaustritten gelitten hatten, wieder Zuversicht zuzusprechen. Konsequent warb der SPD-Politiker um Verständnis für die Reformen der Bundesregierung und die damit verbundenen Einschnitte ins soziale Netz, an denen kein Weg vorbeiführe.

Interessant waren die Reaktionen der Zuhörer: Bei Scherfs Ausführungen zur Reformpolitik wurde kein einziges Mal geklatscht – dafür umso mehr, als er an einer Stelle seiner Rede das angebliche Fehlverhalten deutscher Spitzenmanager kritisierte und mit Blick auf die Globalisierung eine Rückbesinnung auf die sozialdemokratischen Werte Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit forderte.

Der Bremer Bürgermeister ließ keinen Zweifel an der Notwendigkeit von Reformen im Steuerrecht, bei den Sozialversicherungen und auf dem Arbeitsmarkt. „Daran wird die SPD bei der nächsten Bundestagswahl gemessen.“ Offen kritisierte Scherf seinen Parteivorsitzenden, Bundeskanzler Gerhard Schröder, für dessen „Politik der ruhigen Hand“ in der letzten Legislaturperiode. Man dürfe sich nicht vor unpopulären Maßnahmen drücken und nach Art von Helmut Kohl die Probleme des Landes aussitzen. „Wir als SPD, als Partei der kleinen Leute und als Partei der sozialen Gerechtigkeit, müssen auch das Unpopuläre in Angriff nehmen. Das ist notwendig, damit wir eine Perspektive für unsere Kinder schaffen“, betonte Scherf. An die Adresse der Gewerkschaften gerichtet, die durch einige ihrer Funktionäre im Saal vertreten waren, richtete Scherf den Appell, sich in den Reformprozess einzubringen, da sie nur so etwas bewirken könnten. „Die bisherigen Aktionen der Gewerkschaften gegen die Agenda 2010 wirkten irgendwie hilflos“, meinte Scherf.

„Nicht nur fördern, sondern auch fordern“: Diese Devise müsse künftig für den Arbeitsmarkt gelten. „Wir müssen Strukturen aufbrechen, die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose verschärfen und Schwarzarbeitern die finanzielle Stütze entziehen.“ Diese Maßnahmen seien notwendig, weil sich die Politik mit der Arbeitslosigkeit nicht abfinden dürfe. „Nichts ist Schicksal, alles ist das Ergebnis von Politik“, gab sich Scherf überzeugt.

Eine, die mit den Ergebnissen von Politik überhaupt nicht zufrieden ist, ist die Kirchanschöringer Bürgerin Gabi Witthöft, die sich als einzige bei der Veranstaltung zu Wort meldete. In einer engagierten Rede kritisierte sie, dass in Deutschland nichts vorwärts gehe und die Politik nach scheinbar endlosem Hin und Her nur zu faulen Kompromissen fähig sei. Da brauche man sich nicht wundern, wenn Betriebe ins Ausland abwandern, wo die Lohnnebenkosten geringer und die Vorschriften einfacher sind. Als Beispiel nannte sie die Baltischen Staaten, die auf alle Bürger und Firmen einen einheitlichen Steuersatz (Flat Rate) anwenden. „Ich verstehe nicht, warum wir so etwas nicht im eigenen Land machen können“, kritisierte Frau Witthöft.

Zwar hält auch Scherf das deutsche Steuerrecht für zu kompliziert. Er gab aber auch zu bedenken, dass je komplizierter das Steuersystem, desto mehr Leute – zum Beispiel Steuerberater – daran verdienen. „Die große Sehnsucht nach Vereinfachung haben wir alle, aber man übersieht, dass ein riesiger Dienstleistungsapparat an unserem Steuersystem dranhängt.“ Der Einschätzung, Deutschland sei im internationalen Standortwettbewerb nicht mehr wettbewerbsfähig, widersprach Scherf mit Hinweis auf die Auto-, Flugzeug- und Raumfahrtindustrie, die nach wie vor auf das Qualitätssigel „Made in Germany“ setzen würden. „Qualität kann man nicht mit Billiglohnländern kombinieren“, betonte Scherf.

Über die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss berichtete Scherf, dass seine Partei bei den Subventionen gerne noch stärker gekürzt hätte. „Wir als Großstädter hätten die Entfernungspauschale ganz gestrichen, aber Sie hier auf dem flachen Land wären die Leidtragenden gewesen“, gab der Bremer Bürgermeister unumwunden zu.

sepphenningfritz2004
Obwohl die großen Themen der Bundespolitik das Dreikönigstreffen der SPD dominierten, erfuhren die Besucher auch einige interessante Dinge über den Menschen Henning Scherf: Der demonstrierte in den 80er Jahren als überzeugter Juso gegen US-Militärbasen und ging als Kaffeepflücker nach Südamerika, um den Freiheitskampf der Indios zu unterstützen. Von der Bremer Lokalpresse wird er wegen seines Harmoniebedürfnisses liebevoll als „Sonnenkönig“ bezeichnet. Mit dem Bremer Bürgermeister Hennig Scherf - konnten die Sozialdemokraten ein politisches Schwergewicht für ihr traditionelles Dreikönigstreffen beim "Felberwirt" in Kirchanschöring gewinnen. Zur Begrüßung nahmen der Traunsteiner Oberbürgermeister Fritz Stahl und der stellvertretende Landrat Sepp Konhäuser (links) den Bremer Bürgermeister Henning Scherf in die Mitte. Bevor Scherf ans Rednerpult trat, begrüßte er seine Genossinnen und Genossen einzeln mit Handschlag. Vor fast 300 Zuhörern warb Scherf anschließend um Verständnis für die Reformpolitik von Bundeskanzler Schröder und machte den Sozialdemokraten Mut für die Zukunft. (Text u. Foto Niko Oberkandler)