Dreikönigstreffen

2012 - „Königinnen-Treffen“

SPD setzt auf Frauen-Power und will Verantwortung im Freistaat und in Reichenhall

Kirchanschöring. Vieles laufe falsch in diesem Land und in diesem Freistaat. Sagt die SPD. Nicht allein deshalb, weil man das als Opposition grundsätzlich immer beklage, sondern weil sich Staat und Gesellschaft voneinander entfernten, weil vielen Menschen Politik als eine ihnen fremde und abgeschottete Welt erscheine. Natascha Kohnen sparte nicht mit Kritik an den schwarz-gelben Regierungen in Bund und Land. Die Generalsekretärin der bayerischen SPD ist zuversichtlich, dass sich an den herrschenden Mehrheiten bei den kommenden Wahlen etwas ändern werde. Beim 66. Dreikönigstreffen in Kirchanschöring setzte die SPD auf geballte Frauenpräsenz. Neben Kohnen saß die Bundestagsabgeordnete Dr. Bärberl Kofler am Podium, dazu die Landtagsabgeordnete Maria Noichl und die Kandidatin für das Amt des Reichenhaller Oberbürgermeisters, ihre Kollegin Adelheid Rupp,

Wenn Schüler fragen, ob das Referat des Nachbarn „geguttenbergt“ sei, Freunde wissen wollen, ob man sein Haus auch „gewulfft“ habe, dann sei das im ersten Moment durchaus komisch, meint Natascha Kohnen. „Im zweiten aber ist es besorgniserregend. Für uns alle, für Politiker und Demokraten.“

„Streitbare Demokraten“ wünscht sich Traunsteins SPD-Kreisvorsitzender Dirk Reichenau. Fotos: Hannes Höfer So sieht das auch Dirk Reichenau. Der Traunsteiner Kreisvorsitzende erkennt in den Diskussionen und Reaktionen zu Guttenberg und Wulff „zwei Mosaiksteinchen“ einer Debattenkultur, die viel über das Politik- und Politikerverständnis hierzulande aussagen, wo Äußerungen und Stellungnahmen wahrgenommen würden als politische Schachzüge und Strategien. Lauterkeit und Ehrlichkeit würden Zuhörer am allerwenigsten unterstellen. „Merkel und Seehofer behaupten heute das Gegenteil von gestern“, so Reichenaus Erkenntnis, „um weiterhin in der Wählergunst zu bestehen, losgelöst von jeglichen Überzeugungen oder Werten.“ Der „Komödianten-Stadl mit Namen Bundesregierung“ arbeite aktiv an der „Demontage des politischen Systems“, tadelt Reichenau.

Wer nutzt diesen Vertrauensverlust, diesen Nährboden des Werteverlusts?, fragt Generalsekretärin Natascha Kohnen, und gibt selbst die Antwort: Rechtsextreme, deren Menschenbild die Welt schon einmal in die Katastrophe geführt habe. Schwarz-gelb aber kürze bei politischer Bildung anstatt sie zu fördern, beklagt sie.

Anders als von Ministerpräsident Seehofer behauptet, sei Bayern beim Thema Integration nicht vorbildlich, urteilt Kohnen. „Eine Willkommens-Kultur mit festen Regeln“ will die SPD und hat dafür einen Gesetzentwurf eingebracht. Vergeblich: er wurde von der Mehrheit abgelehnt. Entsetzt ist Kohnen über Seehofers Wortwahl, die selbst am Aschermittwoch nicht zu rechtfertigen sei. „Er werde sich bis zur letzten Patrone wehren, damit es zu keiner Zuwanderung in unsere sozialen Sicherungssysteme kommt“, zitiert sie.

Bayern leuchte weniger als immer behauptet, meint Natascha Kohnen und zählt auf: Jeder zweite Beschäftigte arbeite Teilzeit, befristet oder in Leiharbeit; 18 Prozent im Niedriglohnsektor. „Bayern ist Schlusslicht bei der Rentenhöhe“. Eine Statistik der deutschen Rentenversicherung schockiert die Abgeordnete besonders: „Die Lebenserwartung männlicher Geringverdiener ist seit 2001 um zwei Jahre gesunken“. So ein Phänomen habe es in Mittel- und Westeuropa in der Nachkriegszeit bisher nur in Großbritannien zu Zeiten einer Margret Thatcher gegeben.

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„Fortschritt ist das Werk der Unzufriedenen“, zitiert Bayerns SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen des Philosophen Jean-Paul Satre. Foto: Hannes Höfer

Drei Forderungen ergeben sich für die Diplom-Biologin und Redakteurin Kohnen: „Endlich ein gesetzlicher und flächendeckender Mindestlohn“. Dadurch würden zudem die sozialen Sicherungssysteme gestärkt. Bei Leiharbeit will sie gleichen Lohn für gleiche Arbeit, und schließlich müsse die Staatsregierung als Vorbild vorangehen und bei öffentlichen Aufträgen Tariftreue fordern. Ein solches Vergabegesetz habe die SPD im letzten Jahr eingebracht. Das Ergebnis: mehrheitlich Nein.

Diesen „99-Prozent-Reflex“ beklagen übereinstimmend alle drei SPD-Landtagsabgeordnete. Gesetzesentwürfe würden von der Regierungsmehrheit allein deshalb abgelehnt, weil sie von den „Falschen“ kämen. Im privaten Gespräch oder in den Parlamentsfluren erfahre man nicht selten, dass so mancher Parlamentarier dem Inhalt durchaus hätte zustimmen können.

Das Thema „Debattenkultur“ hat Kirchanschörings CSU-Bürgermeister Hans-Jörg Birner aufgegriffen und für eine gemeinsame Arbeit aller politischen Kräfte plädiert, „unabhängig jeder politischen Coleur“.- „Des sagst der schwarz'n Brut in München“, stürmt Maria Noichl an Mikrofon, „es ist nicht zu ertragen, wenn nur aus Prinzip dagegen gestimmt wird.“

Natascha Kohnen aus Neubiberg war selbst viele Jahre in der Kommunalpolitik und kennt beide Ebenen. „Es ist schon eine Stilfrage, ob man sich anplärrt“, erinnert sie sich an unschöne Momente im Maximilianeum. Verwundert zeigt sie sich, „mit welcher Leichtigkeit Seehofer seine Meinung ändert“. Sie selbst mache sich einen Spaß daraus, in Ausschüssen zu behaupten, der Ministerpräsident habe am Morgen dies oder jenes als neue Richtung ausgegeben. „Das macht die CSU-Kollegen sichtlich nervös, denn es könnte ja wahr sein“. Was ihr widerstrebe, sei Ideologisierung. Eine solche erkennt Kohnen in der Schulpolitik. „Nicht nur wir wollen eine Gemeinschaftsschule als Alternative“; Eltern und Kommunen kämen auf sie zu, um kleine, wohnortnahe Schulen, frei von Selektionsdruck, zu schaffen. „Die CSU denkt nicht mal darüber nach“, kritisiert Kohnen.

Nicht lange nachgedacht habe die einstige Atom-Partei auch über die Energiewende. In gerade mal zehn Tagen habe die CSU ein „Konzept“ auf den Tisch gelegt. Ein Bestandteil davon: „Das Klimaprogramm für die energetische Sanierung von staatlichen Gebäuden wird von 37,5 Millionen Euro 2011 auf 20 Millionen im Jahr 2012 zurückgefahren“. Natascha Kohnen sieht in der Energiewende den Moment für mehr Bürgerbeteiligung, denn eine zentrale Rolle spielten dabei ihrer Ansicht nach die Kommunen. Die SPD möchte Energieagenturen auf Landkreisebene und eine Änderung des kommunalen Wirtschaftsrechts. Geld wäre zu holen indem man mehr Steuerprüfer einstelle; bis zu einer Milliarde im Jahr zusätzlich schätzt der Oberste Rechnungshof. Denn anders als von Seehofer behauptet, komme der Freistaat nicht ohne neue Schulden aus. „Das ist eine Lüge und diese Behauptung ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten“, sagt Kohnen, aufgrund des Landesbank-Debakels steige die Nettoneuverschuldung pro Jahr um durchschnittlich 1,42 Milliarden Euro. „10,5 Milliarden werden Kindern und Enkeln aufgebürdet“.

„Anders als von der CSU angekündigt, werden wir nicht zwei Jahre Wahlkampf machen“, verspricht die bayerische SPD-Generalsekretärin, „und eine Schlammschlacht werden wir ebenso wenig mitmachen – weil es viel zu tun gibt.“ Kohnen wirbt für den SPD-Spitzenkandidaten Christian Ude, weil Politik neben Kompetenz und Vertrauen auch Sympathie und Humor brauche.

Im gut gefüllten Saal des Felberwirtes hat die „KSK-Jazzband“ flott aufgespielt. Gefragt, was denn „KSK“ heiße, verraten die fünf Musiker aus dem Chiemgau schmunzelnd: „Könnt schon klappen“. Das glaubt die bayerische SPD auch für den Regierungswechsel im Freistaat.

Hannes Höfer

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Auch die Heiligen-Drei-Könige waren diesmal Königinnen. Rebekka, Julia und Pauline überbrachten Neujahrswünsche und sammelten für Menschen, denen es nicht so gut geht.